Berlin-Film-Katalog (in Vorbereitung)

Rarität des Monats März 2016

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 10.-16. März 2016 um 19.45 Uhr lief

 

Wedding

BRD 1989 – 86 Min. (2369 m) – 35 mm (1:1,85) – Farbe
Regie, Buch: Heiko Schier. Kamera: Jörg Jeshel. Kameraassistenz: Frank Grunert. Materialassistenz: Janusz Reichenbach. Licht: Harald Müller, Jörg Slotty. Ton: Uwe Kersken. Tonassistenz: Andreas Wölki, Björn Behrens. Regieassistenz: Axel Hannemann. Script: Martin Kinkel. Ausstattung: Anamarie Michnevich. Kostüme: Kirsten Johannsen. Maske: Ginette Bell. Aufnahmeleitung: Veit Helmer, Günter Fenner, Dieter Affelt. Musik: Piet Klocke. Schnitt: Karin Nowarra. Schnittassistenz: Ute Rall. Tonschnitt: Gisela Lüpke. Tonschnittassistenz: Ruth Earnshaw. Mischung: Martin Steyer. Standfotos: Rolf Baumgartner. Titelgraphik: Uli Mayer. Produktionssekretariat: Petra Misovic. Produktionskoordination: Margot Ossau. Filmgeschäftsführung: Fritz-Peter Lütyens. Kopierwerk: Geyer-Werke GmbH Berlin. Kameratechnik: Onasch Filmgeräte GmbH. Negativmaterial: Agfa-Gevaert AG. Tonüberspielung: Günter Kortwich. Moviecode: Jastram Filmtechnik. Schneideraum: For Film.
Darsteller: Angela Schmid-Burgk, Roger Hübner, Harald Kempe, Heino Ferch, Wolfgang Bathke, Eberhard Prüter, Paul Wenning, Isot Lang, Claudia Claus, Inge Herbrecht, Gabi Herpers, Lazlo Kornitzer, Hans Walter Klein, Peter Schmode, Konrad Bösherz, Margot Ossan, Ralf Schulenburg, Fred Brus, Reinhard Bolk.
Eine Produktion der Metropolis Filmproduktion GmbH & Co KG Berlin mit Unterstützung des Berliner Senats. Produktionsleitung: Gilbert Funke. Produzent: Joachim von Vietinghoff.
Erstaufführung: 29. Oktober 1989, Hof (Internationale Hofer Filmtage).

Vorführung einer 35-mm-Kinofilmkopie.

 

„Dir hamse wohl ins Hirn jeschissen!“ – Was soll Sulawski sonst sagen, wenn ihm jemand den geliebten Ascona pfänden will? Nicht nur für den Hilfsarbeiter läuft einiges schief an diesem Tag, der zu einem Wendepunkt in seinem jungen Leben werden soll: Die Möbelverkäuferin Susanne ist an ihrem Arbeitsplatz von ihrem krankhaft eifersüchtigen Mann attackiert worden. Später hat er seinen kleinen Sohn als Geisel genommen und ist dann von dem aufstrebenden Polizisten Markus – der kurz vor der Heirat mit einer „höheren Tochter“ steht – erschossen worden.

Susanne weiß nichts davon, als sie, Markus und „Sulle“ sich zufällig in ihrem alten Zufluchtsort aus Teenagertagen wiedertreffen. Die Drei verbringen den Rest des Tages und die anschließende Nacht zusammen, zwischen Zoo und dem heimatlichen Wedding, zwischen den Träumen ihrer gemeinsamen Schulzeit und ihren mit zweiundzwanzig Jahren bereits ziemlich verkorksten Leben.

Heiko Schiers erster Kinofilm ist ein oft tragikomisches Alltagsdrama aus dem Berliner Arbeiterbezirk, der seinerzeit noch weitgehend von der Mauer umgeben war. Gedreht wurde – in nur achtzehn Tagen, mit nur vierhunderttausend Mark und ohne Fernsehbeteiligung – natürlich vor Ort, als ein wichtiger Schauplatz diente der damalige Güterbahnhof Eberswalder Straße, heute wesentlicher Teil des Mauerparks. Darstellerisch glänzte vor allem Harald Kempe als perfekte Verkörperung des prolligen Sulawski, hinter dessen Schnoddrigkeit sich auch eine gewisse Hilflosigkeit verbirgt. In der wichtigen Nebenrolle als Susannes Mann überzeugte der junge Heino Ferch. (Die Szene, in der er seiner Filmfrau die Tasche auf den Kopf schlägt, entstand auf dem Parkdeck von Möbel-Höffner in der Pankstraße, wo auch andere gedreht wurden.)

Uraufgeführt auf den Hofer Filmtagen 1989, wurde „Wedding“ viel beachtet und gelobt – der „Tip“, seinerzeit nicht nur einflußreiches Berliner Stadtmagazin, sondern wegen seines umfangreiches Filmteils von vielen auch als Filmzeitschrift wahrgenommen – widmete dem Streifen sogar eine Titelgeschichte.

Der damalige Wahl-Weddinger Schier, Jahrgang 1954, führte nach diesem Film – der auf VHS längst vergriffen und auf DVD oder Blu-ray bisher nicht erschienen ist – seine Regielaufbahn fort mit dem Berliner Künstlerdrama „Wer hat Angst vor RotGelbBlau?“. Mit seinem dritten Kinofilm, der bissigen Ost-West-Satire „Alles Lüge“ mit Dieter Hallervorden in der Hauptrolle, setzte er sich dann 1992 zwischen alle Stühle, was einen nachhaltigen Karriereknick bewirkte. Piet Klocke schrieb übrigens zu allen drei Streifen die Musik; er hatte schon zuvor, bei fürs Fernsehen entstandenen Arbeiten, zu Schiers Stammteam gehört.

 

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

 

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J.G.

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Quelle der filmographischen Angaben: Filmlänge in Minuten, Filmformat: Presseheft des Delta-Filmverleihs zum Kinostart 1990. Filmlänge in Metern, Bildformat, Datum und Ort der Uraufführung: http://www.filmportal.de/film/wedding_ec84d8c65bee466aa966b6e88a22b803 (besucht am 19.2.2016). Alle anderen Angaben: Originalabspann.

Bilder: Delta-Filmverleih.

 

 

 

Rarität des Monats Februar 2016

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 4.-10. Februar 2016 um 19.30 Uhr lief

 

Entlassen auf Bewährung

DDR 1965 – 90 Min. (2463 m) – 35 mm (1:1,85) – Schwarzweiß
Regie: Richard Groschopp. Drehbuch: Gert Billing, Richard Groschopp. Kamera: Rolf Sohre. Szenenbild: Alfred Tolle. Ausführung: Alfred Schulz, Senta Ochs. Musik: Günter Hauck. Kostüme: Günter Schmidt. Masken: Willi Gesche, Irmgard Lippmann. Ton: Günter Dallorso. Schnitt: Anneliese Hinze-Sokoloff. Regie-Assistenz: Gerda Eggers-Ebert. Filmfotografin: Waltraud Pathenheimer, Eberhard Schweda. Aufnahmeleitung: Christian Urban, Wolfgang Bertram.
Darsteller: Heinz Klevenow, Angelica Domröse, Helga Göring, Krista-Siegrid Lau, Volkmar Kleinert, Erik Veldre, Karl Sturm, Gudrun Ritter, Ingeborg Ottmann, Karl Kendzia, Hans Hardt-Hardtloff, Helga Raumer, Otto Mellies, Bärbel Bolle, Erich Brauer, Johanna Clas, Axel Dietrich, Egon Geissler, Gerhard Hänsel, Traudl Kulikowsky, Maximilian Larsen, Hans Maikowski, Günter Meier, Siegfried-Michael Ressel, Lothar Schellhorn, Günter Sonnenberg u.a.
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe konkret. Produktionsleitung: Anni von Zieten.
Festliche Uraufführung: 17. Juni 1965, Frankfurt/Oder, Lichtspieltheater der Jugend (im Rahmen der Arbeiterfestspiele der DDR). Premiere: 18. Juni 1965, Berlin, Kino International.

 

„Entlassen auf Bewährung“ wird oft nur kurz als lose Fortsetzung von Richard Groschopps bekannterem Film „Die Glatzkopfbande“ (1962) kurz gewürdigt. Womöglich war diese Geringschätzung – und die Einordnung als „nur ein Krimi“ – auch ein wesentlicher Grund dafür, dass „Entlassen auf Bewährung“ der Verbotswelle entging, die auf das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED Ende 1965 folgte. Denn die Geschichte eines jungen Mannes, der auf Bewährung aus dem Gefängnis kommt, spielt in einem Ost-Berlin, in dem von „entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten“ wenig zu sehen ist. Im Gegenteil werden die Menschen von Misstrauen, Neid, Vorurteilen, Egoismus, Materialismus, auch Standesdünkel, bestimmt. Lediglich seine Freundin hält zu dem jungen Mann – aber nicht aus weltanschaulichen Gründen, sondern nur aus Liebe. Und auch dieser jungen Frau steht niemand helfend zur Seite, schon gar nicht am Arbeitsplatz. Justiz und Polizei wirken unnahbar, von der Partei ist gar nichts zu sehen. So ist dieser Film – unter anderem am Weißenseer Antonplatz gedreht und im Juni 1965 uraufgeführt – ein typischer Vertreter der damaligen, um konstruktive Kritik bemühten DEFA-Produktion. Wir zeigen ihn auch als Vorgeschmack auf die diesjährige Berlinale-Retrospektive, die sich der gesamtdeutschen Filmproduktion der mittleren sechziger Jahre widmet. Und als ein Beispiel für einen der vielen vergessenen, da auch unterschätzten Filme jener Zeit.

 

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Weitere Informationen hier und hier.

 

Die DDR bleibt ein ungemütlicher Ort

Ein Film, der seltsamerweise nicht verboten wurde

[Enthält Spoiler.]

„Es ist der zehnte Film, den Richard Groschopp bei der DEFA gedreht hat. Mit ‚Ware für Katalonien’, ‚Sie kannten sich alle’ und ‚Die Glatzkopfbande’ hatte sich Regisseur Groschopp jeweils dem spannend-unterhaltenden Genre Kriminalfilm zugewandt.“ – So beginnt der doppelseitige Beitrag, mit dem der „Filmspiegel“, die auf ein breites Publikum zielende Filmzeitschrift der DDR, in Nr. 12 vom 16. Juni 1965 „Entlassen auf Bewährung“ vorstellt.

In diesem Vorspann findet sich auch schon ein Hinweis auf einen möglichen Grund dafür, daß der am 17. Juni 1965 uraufgeführte Film nicht wenige Monate später, im Gefolge des berüchtigten 11. Plenums des ZK der SED, in den Giftschrank wanderte: Groschopp, der auch am Drehbuch von „Entlassen auf Bewährung“ beteiligt war, galt eher als Schöpfer von (durchaus mit propagandistischen Tönen versehener) Unterhaltungsware, denn von großen, staatstragenden Filmen. Diese gewisse Geringschätzung fand ihren Niederschlag in der Tatsache, daß das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“, die wichtigste und quasi-amtliche Tageszeitung der DDR, „Entlassen auf Bewährung“ keiner Besprechung für wert befand.

Noch eine Fehleinschätzung verhindert bis heute, daß der Streifen auch nur angemessen beachtet wird: Er gilt als Fortsetzung von „Die Glatzkopfbande“, und Fortsetzungen genießen generell keinen besonders guten Ruf.

Dabei konnte man schon im eingangs erwähnten „Filmspiegel“-Artikel lesen: „Der Regisseur selbst sagt dazu: ‚Die Glatzkopfbande’ sollte ursprünglich sogar eine Fortsetzung erhalten. Viele Zuschauer fragten nämlich, wie es mit den Jugendlichen weitergehe. Es war aber schwierig, die verschiedenen Schicksalswege in einem einzigen Film zu verfolgen. Deshalb entschlossen wir uns,  e i n e n   jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.’“

Dieser Protagonist Konrad Schenk, genannt Conny, trägt zwar den Namen einer Figur aus „Die Glatzkopfbande“, der – von realen Ereignissen ausgehend, aber zu Propagandazwecken verzerrt – das natürlich vom bösen Westen befeuerte Treiben einer Jugendbande an der sommerlichen Ostseeküste schilderte. Auch gibt es in dem neuen Film einen kurzen Kontaktversuch Connys zu Mitgliedern der alten Motorradbande.

Eine nennenswerte Rolle spielt diese in „Entlassen auf Bewährung“ jedoch nicht, wo zudem der Conny von einem anderen Darsteller verkörpert wird: Heinz Klevenow, dem Sohn des gleichnamigen Schauspielers und der Schauspielerin Marga Legal, der damit sein Leinwanddébut hatte.

Zudem sind Machart und Haltung dieses Films eine ganz andere als bei „Die Glatzkopfbande“. Geflissentlich wurde zwar vom „Filmspiegel“ (wie von anderen DDR-Blättern) betont, daß im Sozialismus die Resozialisierung Straffälliger selbstverständlich kein großes Problem mehr sein könne: „Das Problem, das Hans Fallada in seinem berühmten Roman ‚Wer einmal aus dem Blechnapf frißt’ gestaltete, ist in diesem Film in das Hier und Heute verpflanzt worden, Wo Falladas Held, dem der Makel des Vorbestraftseins anhaftet, in einer heuchlerischen bürgerlichen Gesellschaft scheitern muß, werden in ‚Entlassen auf Bewährung’ die Möglichkeiten an- und ausgedeutet, die in einer sozialistischen Gesellschaft vorhanden sind, den mit dem Gesetz in Konflikt Geratenen zu helfen.“ Groschopp wurde zitiert: „Der Zuschauer soll erkennen, daß der einmal Gestrauchelte auf der Suche nach dem Sinn des Lebens an unserer Seite nicht an unserem guten Willen zweifeln darf.“

Von „entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten“ ist wenig zu sehen

Der Film zeigte aber eher das genaue Gegenteil: Der auf Bewährung Entlassene ist die gesamte Zeit über weitgehend auf sich allein gestellt. Die Unterstützung des Staates beschränkt sich darauf, dem jungen Mann eine Unterkunft zuzuweisen, sowie (natürlich) eine Arbeitsstelle – die sich aber ihrerseits als eine Art Gefangenschaft erweist, da er dort mindestens zwei Jahre lang bleiben muß, trotz aller Anfeindungen, die von Anfang an vorhanden sind und sich rasch steigern. Anders, als man es in Kenntnis der DDR-Gepflogenheiten erwarten sollte, wird die Betriebsgewerkschaftsleitung zunächst nicht in den Vorgang einbezogen – dieser Aspekt taucht erst spät in der Handlung auf. Aber selbst dann ist von „entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten“ wenig zu sehen, im Gegenteil: Mißtrauen, Mißgunst, Vorurteile, Egoismus, Materialismus, auch Standesdünkel dominieren bei den meisten Figuren des Films. Nichts findet sich hier von der gern beschworenen, als Bevormundung beklagten, später ostalgisch verklärten „Geborgenheit in der sozialistischen Menschengemeinschaft“. Die einzige Person, die zu dem Protagonisten hält, ist seine Freundin – aber auch sie tut es nicht ihrer Haltung oder Weltanschauung, sondern ihrer Liebe wegen. Und auch dieser jungen Frau steht niemand helfend zur Seite, schon gar nicht am Arbeitsplatz.

Ebensowenig wurde die Möglichkeit genutzt, in „Entlassen auf Bewährung“ Justiz und Polizei als Institutionen zu zeigen, an welche sich der Gestrauchelte (und jeder Bürger) vertrauensvoll wenden kann. Stattdessen wirken auch diese Vertreter der Obrigkeit unnahbar.

Von der allmächtigen und fast allgegenwärtigen Partei ist schon gar nichts zu sehen. Man darf zwar vermuten, daß die Kaderleiterin (also Personalchefin) der „volkseigenen“ Druckerei, in der Conny arbeiten muß, Genossin ist, aber es wird nicht erwähnt und es spielt keine Rolle. Überhaupt ist der Umstand, daß zwei Frauen in einem traditionell eher männlich geprägten Gewerbe leitende Positionen einnehmen (Conny hat als direkte Vorgesetzte eine Meisterin), auch schon das einzige, was man der „Fortschrittlichkeit der DDR“ anrechnen kann. Wie es in dem Betrieb – eigentlich in dem ganzen Film – sonst zugeht, könnte sich dies im Wesentlichen so auch im von der DDR damals ausgiebig und mit vielen schrillen Tönen geschmähten Westen abspielen.

Westschurken jetzt als DDR-Bürger

Daß die Möglichkeit zur Flucht dorthin inzwischen nicht mehr besteht, ergibt sich schon daraus, daß sie im Film nicht erwähnt wird. Um so mehr durfte sich der damalige DDR-Zuschauer fragen, was es mit Connys einstigem Zellengenossen auf sich hat: Über ein Jahrzehnt lang, bis zum Mauerbau 1961, war in den DEFA-Filmen doch immer gezeigt worden, daß die Bevölkerung West-Berlins größtenteils bis vollständig aus solch arbeitsscheuen, windigen Typen, Schiebern, Geschäftemachern, Gaunern besteht. Und ihren Flittchen. Und jetzt, wo die „Staatsgrenze gesichert“ ist, haben diese Gestalten sich plötzlich auch im „demokratischen Sektor“ Berlins breitgemacht?

Diese Figur zeigt hervorragend das Dilemma des DDR-Kriminalfilms im Fernsehen wie im Kino, nach dem Mauerbau nicht mehr ständig für alles Böse den Westen verantwortlich machen zu können, da sich andernfalls die Frage stellte, was denn die „Grenzsicherung“ eigentlich bringt – und wie unfähig die „Organe“ sind, wenn Schmuggler, Saboteure und Agenten weiterhin ihr Unwesen in der DDR treiben und den Sozialismus beim gesetzmäßigen Aufblühen behindern können. Die Idee der Drehbuchschreiber Groschopp und Gert Billing, die vertraute Figur des windigen Westlers nun – Jahre nach der Grenzschließung – einfach im Osten anzusiedeln, als DDR-Bürger, der sich gegen alle Umerziehungsversuche resistent zeigt, zeugt gut von der Hilflosigkeit oder auch Unfähigkeit der Autoren, sich neue Begründungen für Verbrechen und Bösewichte auszudenken oder aber DDR-eigene Schurken nicht mit jenen Klischees zu gestalten, die man für westliche Übeltäter benutzt hat.

Immerhin wird in „Entlassen auf Bewährung“ nicht behauptet, der Protagonist wäre zu seiner Tat durch zu häufiges Hören der „Schlager der Woche“ im RIAS getrieben worden, was schon einen Fortschritt gegenüber früheren Filmen – einschließlich „Die Glatzkopfbande“ – darstellt. (Es sollte noch bis Ende der sechziger Jahre dauern, bis originär ostdeutsche, ganz ohne westliche Einflüsse straffällig gewordene DDR-Bürger häufiger in ostdeutschen Film- und Fernsehproduktionen auftauchten.) Auch insofern hat „Entlassen auf Bewährung“ etwas von einem Werk des Übergangs.

Weltniveau: Ein offenes Ende

Bemerkenswerterweise besitzt der Film nicht nur kein richtiges Happy End, sondern das Ende ist (einem internationalen Filmtrend der damaligen Zeit entsprechend) recht offen: Der Protagonist faßt neuen Mut, aber ob die Probleme an seinem Arbeitsplatz, mit seiner Freundin und deren feindseliger, arroganter Mutter, mit dem einstigen Zellengenossen gar (dem im Film nicht neuerlich das Handwerk gelegt wird), sich auflösen oder sich womöglich weiter verschärfen, bleibt vollkommen unklar. Womit auch das negative Verhalten der allermeisten Figuren nicht dadurch „entschärft“ wird, daß man deren Wandel zum Besseren zeigt. Die DDR bleibt ein ungemütlicher Ort voller engstirniger Gestalten und mit nur ganz wenig, ganz vager Hoffnung: Seine Freundin sagt dem Protagonisten, daß sie ihn liebt und man an seinem Arbeitsplatz auf ihn warte. Und als der junge Mann sich trotzdem das Leben nehmen will, wird er unversehens in die Rettung eines verunglückten Kindes einbezogen, was ihn zur Besinnung kommen läßt. Ende.

Als Ende 1965 nicht nur, aber allem voran im Kulturleben der DDR eine neue Eiszeit anbrach, als reihenweise DEFA-Produktionen teils noch vor ihrer Fertigstellung im Giftschrank verschwanden, aus dem sie erst nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur 1989 wieder auftauchen sollten, war „Entlassen auf Bewährung“ längst durch die Kinos der DDR gewandert, also abgespielt. Und, wie gesagt: Er war von Anfang an für nicht allzu wichtig erachtet worden. So stürzten sich die Betonköpfe bei ihrem Feldzug gegen die – in den Monaten zuvor immer mutiger betriebene – kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Gegenwart, gegen jede ernsthafte Diskussion über die Probleme des SED-Staates, lieber auf Werke wie „Der Frühling braucht Zeit“ von Günter Stahnke, „Denk bloß nicht, ich heule“ von Frank Vogel oder auf „Das Kaninchen bin ich“ von Kurt Maetzig, der seit anderthalb Jahrzehnten einer der eifrigsten und verläßlichsten Lieferanten von Propagandaspielfilmen gewesen war.

„Entlassen auf Bewährung“ entging einem Verbot, und damit entging ihm auch jene Aufmerksamkeit und Wertschätzung, welche den damals verbotenen Filmen zuteil wurde – von denen manche weder inhaltlich kritischer noch formal gelungener sind als „Entlassen auf Bewährung“, der eine eigentümliche Mischung bietet aus ambitionierten Momenten und Elementen einerseits, brav dahinplätscherndem, vorhersehbarem Geschehen und Dialogen, bei denen das Papier raschelt, andererseits.

Über ein halbes Jahrhundert später ist es höchste Zeit, diesen so lange nur unter zwei falschen Etiketten eingeordneten Film einmal unbefangen anzusehen und womöglich wiederzuentdecken, und sei es nur als typisches Produkt seiner Zeit.

J.G.

 

 

 

Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge, Film- und Bildformat: http://www.filmportal.de/film/entlassen-auf-bewaehrung_e98c12bfa4cc426e8127420b77f1aae0 (besucht am 25.1.2016). Datum und Ort der festlichen Erstaufführung: Neues Deutschland vom 18. Juni 1965. Datum und Ort der Premiere: Neues Deutschland vom 16. Juni 1965. Alle anderen Angaben: Originalvorspann.

Bilder: DEFA-Stiftung/Waltraud Pathenheimer.