Rarität des Monats August 2016
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Vom 4.-10. August 2016 um 18 Uhr (am 8. in Anwesenheit von Iris Gusner) lief
Alle meine Mädchen
DDR 1979/1980 – 86 Min. (2355 m) – 35 mm (16:9) – Farbe und Schwarzweiß
Regie: Iris Gusner. Drehbuch: Iris Gusner, Günter Haubold. Szenarium: Gabriele Kotte. Dramaturg: Tamara Trampe. Kamera: Günter Haubold. Szenenbild: Dieter Adam. Bauausführung: Manfred Böhme, Requisiten: Günter Nielbock, Peter Glaser. Musik: Baldur Böhme, Gruppe „Orion“. Schnitt: Renate Bade. Ton: Peter Foerster, Wolfgang Großmann. Kostüme: Inge Kistner. Masken: Bernhard Schlume, Franziska Berger. Regieassistenz: Dirk Jungnickel. Kameraassistenz: Wolfgang Ebert, Norbert Kuhröber. Aufnahmeleitung: Harald Andreas, Frank Lamla.
Darsteller: Andrzej Pieczyński (synchronisiert von Henry Hübchen), Lissy Tempelhof, Monica Bielenstein, Madeleine Lierck, Barbara Schnitzler, Viola Schweizer, Evelyn Splitt, Klaus Piontek, Wolfgang Dehler, Fritz Marquardt, Heide Kipp, Jaecki Schwarz, Carmen-Maja Antoni.
Wir danken für die Unterstützung dem Kombinat VEB NARVA „Rosa Luxemburg“.
DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe „Berlin“. Produktionsleitung: Uwe Klimek.
Premiere: 24. April 1980, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Stadthalle (Eröffnung des ersten Nationalen Spielfilmfestivals der DDR).
Arbeitstitel: Bewährungsprobe.
Vorführung einer 35-mm-Kinofilmkopie.
„Ich weiß doch, was mit solchen Sachen bei uns passiert: Wir machen uns kaputt, und die Leute schalten sowieso aufs andere Programm um! Die wollen sich selber nicht sehen!“ – Der junge Filmstudent Ralf Päschke ist alles andere als begeistert, als er erfährt, worüber er seinen ersten Dokumentarfilm drehen soll: Eine gute, aus jungen Frauen bestehende Brigade im großen Berliner Glühlampenwerk an der Warschauer Brücke (in dem Jürgen Böttcher 1963 mit „Stars“ einen der bedeutendsten DEFA-Dokumentarfilme gedreht hatte und das heute nicht mehr existiert).
„Na, nu kiek dir ma den Uffzuch an, Mensch, ey! Der hat ja nu wirklich Jeld!“ – „Und ick Idiot renn extra zum Friseur, wa?“ – Auch die jungen Arbeiterinnen sind von dem schmächtigen und etwas schüchternen Nachwuchskünstler wenig angetan. Doch bald kommt man sich näher, zumal Ralf rasch mitbekommt, daß es in der Brigade gar nicht so vorbildlich zugeht: Die Arbeitsmoral läßt zu wünschen übrig, eine Kollegin aus „besseren“ Kreisen, die sich hier „bewähren“ soll, findet keinen Zugang zur Gruppe, die Betriebsleitung will autoritär über das Schicksal der Brigade bestimmen, deren mütterliche Leiterin erleidet einen Nervenzusammenbruch, als ihr „ihre Mädchen“ einen Bruch ihres Vertrauens vorwerfen und ihr selbiges daraufhin entziehen. Und das ist noch nicht einmal alles. Der Filmstudent wird immer tiefer in das Geschehen hineingezogen und droht darüber, seine Arbeit zu vergessen.
Wie im zwanzigsten Jahrhundert weltweit, gelang es auch bei der DEFA nur wenigen Frauen, die Machtposition des Regiestuhls zu erobern. Die 1941 geborene Iris Gusner hatte zudem einen denkbar schlechten Start: Ausgebildet an der Moskauer Filmhochschule (am Anfang von „Alle meine Mädchen“ wird in der Babelsberger Filmhochschule neben Portraits Chaplins und Fellinis auch eines ihres Lehrers Michail Romm aufgehängt), wurde ihr erstes Werk „Die Taube auf dem Dach“ verboten und vernichtet. Es folgten der Märchenfilm „Das blaue Licht“ und „Einer muß die Leiche sein“, den viele Kritiker als Krimi abtaten. Dabei interessierte Iris Gusner schon dort vor allem die Möglichkeit, ein Gruppenportrait zu schaffen. Mit „Alle meine Mädchen“ gelang ihr dann ihr erfolgreichster und bis heute bekanntester Film.
„Alle meine Mädchen“ spricht viele (auch damals eher unerwünschte) Themen an, tut dies aber auf unverkrampfte, zuweilen auch tragikomische Weise. Der Zwang zur Skizzenhaftigkeit trägt zur Leichtigkeit und Unterhaltsamkeit des Films bei. Einhellig gelobt wurden die schauspielerischen Leistungen, allen voran jene von Lissy Tempelhof als Meisterin und von Fritz Marquardt als ihres problembeladenen Manns.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Mehr zu dem Film hier und (samt zeitgenössischer Kritiken) hier.
Sie haben unsere Aufführungen verpaßt oder möchten den Film noch einmal sehen? Dann schauen Sie doch einmal hier und hier.
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J.G.
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Quellen der filmographischen Angaben: Filmformat: http://www.filmportal.de/film/alle-meine-maedchen_43717a674bc14f3999c43458b32571b9 (besucht am 20.7.2016; dort werden als Darsteller außerdem Rosemarie Gerber, Gertraud Kreißig, Roland Kuchenbuch, Dirk Jungnickel, Peter Schaaf, Fritz Pfeiffer, Markus Becker, Ingrid Rehberg genannt). Arbeitstitel: Neue Zeit (Ausgabe B) vom 17.1.1979. Datum und Rahmen der Premiere: Leipziger Volkszeitung vom 6.4.1980. Filmlänge, Produktionsfirma: Progress Pressebulletin/Kino DDR, Nr. 5/1980 (dort heißt es nur: „Buch: Gabriele Kotte“, außerdem wird Hans Falck als Oberbeleuchter genannt, Wolfgang Ebert auch als Standphotograph und Gertraud Kreißig als weitere Darstellerin). Alle anderen Angaben: Originalabspann.
Bilder: DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert.