Berlin-Film-Katalog (in Vorbereitung)

Rarität des Monats April 2013

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 4.-6. und 8.-10. April 2013 lief um 18 Uhr

 

Rotweinrock und Lammfellmantel

D 2004 – Beta SP (1:1,66) – Farbe – 52 Minuten
Ein Film von Hannah Metten, Jan Gabbert. Tonbearbeitung: Lars Ginzel. Musik: Uwe Bossenz. Titelgestaltung: Ellen Stein, Thorben Jäger. Ein Film mit Waltraud Köhler, Siegfried Köhler, Elke Seemann und den Kunden der Reinigung. Danke: Waltraud Köhler und Siegfried Köhler, Elke Seemann, allen Kunden, Winfried Gerling, Zaki Omar, Gisela Schulz, Lars Ginzel, Ellen Stein, Thorben Jäger, Jacob Ilgner, Tanja Ptacek, Franziska von Berlepsch, Nico Rolcke, Jan Poppenhagen, Ilona und Bernd-Uwe Gabbert.
Erstaufführung: 20. März 2004, Berlin (Lichtblick-Kino).

Projektion eines digitalen Datenträgers.

 

Wäscherinnen

DDR 1972 – 35 mm (1:1,37) – Schwarzweiß – 23 Minuten
Regie: Jürgen Böttcher. Kamera: Werner Kohlert. Schnitt: Charlotte Beck. Ton: Jochen Huschenbett. Ton: Hans-Jürgen Mittag. Kommentar: Peter Voigt.
Produktion: DEFA-Studio für Kurzfilme, Gruppe Profil. Redaktion: Günter Wünsche. Produktion: Dieter König.

Projektion einer 35 mm-Kinofilmkopie.

Nach zwanzig Jahren ist’s genug: Waltraud und Siegfried Köhler geben ihre Textilreinigung in der Stargarder Straße in Prenzlauer Berg auf, schließlich sind beide schon Ende sechzig. Trotzdem fällt der Abschied schwer, ihnen wie ihren Kunden. Unaufgeregt werden die letzten Wochen dieser Kiezinstitution beobachtet, unaufdringlich wird dabei Großes geschildert: Kundendienst als Selbstverständlichkeit, Arbeit, die Freude macht, Geschäftsgebaren, das nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet ist. Ganz unaufdringlich avanciert der Film so zu einer Lektion über die Würde von Arbeit. Als Vorfilm läuft „Wäscherinnen“ über junge Frauen in der REWATEX-Großwäscherei in Pankow-Heinersdorf.

 

Unser Flyer zu den Filmen. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

  

Unzeitgemäß – überraschend aktuell

Nach zwanzig Jahre ist’s genug: Waltraud und Siegfried Köhler geben ihre Textilreinigung in der Stargarder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg auf, schließlich sind beide nicht mehr die jüngsten. Und trotzdem fällt der Abschied schwer, nicht nur dem Ehepaar, sondern auch seinen Kunden. Sei’s der kleinen Gespräche am Ladentisch wegen oder der gewissenhaften Arbeit, welche fast jeden Fleck und jede unerwünschte Falte verschwinden ließ.

2004 beobachteten Hannah Metten (Jahrgang 1979) und Jan Gabbert (Jahrgang 1980) für ihren Film „Rotweinrock und Lammfellmantel“, mit dem sie ihr Studium der Europäischen Medienwissenschaft abschlossen, die letzten Wochen dieser Kiez­institution auf fast asketische Weise: In dem rund fünfzigminütigen Streifen gibt es keinen gesprochenen Kommentar, keine Schriftinserts, keine Musik (außer zum Abspann), erst recht keine Sperenz­chen bei Kameraführung oder Montage. Es erklärt sich alles selbst, die Kamera verläßt den Laden lediglich, um ihn von außen zu zeigen, der Film konzentriert sich ganz auf das betagte Ehepaar. Über dessen Privatleben erfährt der Zuschauer nur wenig. Um so mehr hingegen über die Arbeit der Köhlers: über individuellen Service, gewissenhafte Dienstleistung, Beratung, zu der auch gehört, einen Kunden darauf hinzuweisen, wenn er mit seinen Flokatiteppich ins Waschcenter ginge, könne ihn das viel billiger kommen.

Was man in genauen Beobachtungen und kurzen Interviews sieht und hört, bestätigt den wohligen Eindruck von Solidität, welchen schon das Ambiente des Ladens ver­mittelt: Hier soll dem Kunden nicht mit allerlei Marketingmätzchen und psychologischen Tricks etwas aufgenötigt werden, hier verwendet man nicht viel Mühe auf die Einrichtung und Inszenierung des Geschäfts, hier kümmert man sich lieber um die Sache(n) an sich, um die Qualität der Waren und Dienstleistungen. So wie es hier auch nicht um Kostenoptimierung und Profitmaximierung geht – sieht man einmal davon ab, daß Frau Köhler Recycling betreibt, indem sie Reklamezettel und andere nicht mehr benötigte Drucksachen, so diese eine weiße Rückseite aufweisen, zerschneidet und als improvisierte Quittungen weiterverwendet. Statt sich Werbeaktionen auszudenken und permanent „Sale“ ans Schaufenster zu schreiben, konzen­trieren sich Köhlers auf das, was sie den Kunden Reelles bieten: Denn chemische Reinigung ist chemische Reinigung, aber mit einem dermaßen sorgfältigen Kampf gegen jeden Flecken kann die Konkurrenz womöglich nicht aufwarten.

Recht bald wird deutlich: Der seinem Gegenstand entsprechend schlichte, stille Film erzählt in erster Linie von Arbeit, die Freude macht, davon, wie Arbeit schön sein kann, Sinnstifter und Lebenselixier. Weshalb dann auch nicht über die Höhe des Renteneintrittsalters diskutiert zu werden braucht: Die Köhlers gehen mit Ende sechzig in den Ruhestand. Und mit Bedauern. „Ich bin hier zwanzig Jahre gerne hergekommen, und das waren wirklich schöne zwanzig Jahre“, meint Waltraud Köhler und betont, sie sehe diese Arbeitszeit nicht als verlorene Zeit.

Wie aus einer fernen, fremden, vergangenen, wahrhaft verlorenen Zeit wirkt aber das Arbeitsethos, welches „Rotweinrock und Lammfellmantel“ so unaufdringlich (und da­mit seinerseits in „unzeitgemäßer“ Form) dokumentiert – heutzutage, wo Arbeitneh­mer gern nur als lästige Kostenfaktoren behandelt werden, wo Arbeit weitgehend degradiert worden ist zu etwas, mit dem man irgendwo irgendwie ein wenig Geld verdienen soll. Auch zu Hungerlöhnen, auch in einzig der Statistikmanipulation dienenden „Maßnahmen“, auch zu unzumutbaren Bedingungen – welche ja einfach wegdefiniert worden sind: Von Vertretern jener Partei, die einmal zum Kampf gegen Ausbeutung gegründet worden ist. Von Herren, die meinen, jede Arbeit sei zumutbar, und die dann ihr Verständnis von Anstand und Solidarität dokumentieren, indem sie öffentlichkeitswirksam kurz vor dem Wahltag dazu aufrufen, nicht für ihre eigene Partei zu stimmen – wenn man sie dafür rügt, treten sie als beleidigte Leberwurst aus. Dieser (hinsichtlich seines Budgets) kleine, (hinsichtlich seiner Aussage und Bedeutung) große Film vermittelt eine Ahnung davon, wie wenig inzwischen von der gern an Maifeiertagen beschworenen Würde der Arbeit übriggeblieben ist, wie verkommen die Verhältnisse sind.

Und wie sind die Verhältnisse für Filmemacher? Dieser außerhalb der gängigen Mechanismen produzierte Film hat, jenseits einiger Festivals, kaum Beachtung gefunden. Wer verleiht schon eine fünfzigminütige Dokumentation, die weder mit Skandalgeschrei noch mit aufdringlicher Machart (merke: „wenn die Kamera wackelt und viel geschnitten wird, ist das was für die Jugend“) noch mit Fördergeldern auf­warten kann? Wer berichtet schon über solch einen Film, in dem nicht mal irgend­welche Promis auftreten?

Wie man hört, brauchen Produktionen, erst recht Dokumentationen, die ohne Beteiligung des Fernsehens entstanden sind, bei den Sendern erst gar nicht anzuklopfen. Gezeigt wird nur, was von vornherein den Apparat der Senderredaktionen und Förderinstitutionen durchlaufen hat und überall abgesegnet worden ist. Eine Zensur findet natürlich nicht statt. Die Kunst ist frei. Im Mai werden ja nicht nur am 1. schöne Reden gehalten, sondern auch am 23.

Der Reden ebenfalls nicht enthalten kann sich Jürgen Böttchers „Wäscherinnen“. Natürlich nicht. Was weniger seinem Entstehungsort – der DDR – als seiner Entstehungszeit – 1972 – geschuldet sein dürfte: Während heute manch Dokumentarfilmregisseur seinen Zuschauern lieber wichtige Informationen vorenthält, als sich einen noch so knappen Kommentar zu genehmigen, waren um 1970 Dokumen­­tationen ohne aus dem Off gesprochenen Text noch (oder gerade wieder) ungewöhnlich. Erst einige Jahre später sollte Böttcher solche Filme schaffen. 

In „Wäscherinnen“ versteigt sich sein für den Kommentar verantwortlich zeichnender Kollege Peter Voigt gleich am Anfang zu der Behauptung, alle Berufe seien gleich wichtig – was eine freundliche Lüge ist, aber nichtsdestoweniger eine Lüge. Der Film konzentriert sich dann auf ein Gewerbe, das es in diesen Ausmaßen im Jahre 2013 nicht mehr gibt: Auch im einstigen Ostteil Berlins ist inzwischen für Privathaushalte an die Stelle der Möglichkeit, seine Wäsche (sehr preiswert) in einem Großbetrieb reinigen zu lassen, die flächendeckende Versorgung mit Waschmaschinen, Waschküchen und Waschsalons getreten. Welche Bedeutung Spindlersfeld einmal für die Stadt hatte, wissen bald nur noch Heimatkundler. (Daß die REWATEX-Niederlas­sung, in der Böttcher drehte, in Heinersdorf stand, spielt diesbezüglich keine Rolle.) 

Während der Kommentar pflichtschuldig – auch so pflichtschuldig, wie man es in einem „Staat der Werktätigen“ erwarten darf – die Arbeit der Wäscherinnen lobt und um Verständnis für sie wirbt, ersteht vor allem aus den Aussagen der jungen Frauen allmählich ein ganz anderes Bild: Kaum eine von ihnen scheint sich diese Arbeit ausgesucht zu haben. Manche wurden mit mehr oder minder sanftem Druck dazu gebracht, andere mit falschen Versprechen. Freude bereitet offenbar kaum einer ihr Broterwerb. Einige der im Betrieb anfallenden Tätigkeiten scheinen immerhin nicht ganz so anstrengend oder unangenehm zu sein wie andere. Mehrere der jungen Frauen fühlen sich nicht angemessen entlohnt, insbesondere nicht im Vergleich´zu anderen. Natürlich darf im Film nicht gesagt werden, was wenigstens subjektiv vorliegt, wenn man für seine Arbeit nicht das bekommt, was man bekommen sollte: Ausbeutung.

Jürgen Böttchers „Wäscherinnen“ ist in verschiedener Hinsicht ein Kontrastprogramm zu „Rotweinrock und Lammfellmantel“. Auch wenn Ostalgiker ebenso wie glühende Marktwirtschaftler es aus ideologischen Gründen für schlichtweg unmöglich halten dürften: Der Film wirkt überraschend (und erschreckend) aktuell. Er zeigt Arbeit allein als lästiges Übel, als etwas, das man notgedrungen ausübt, in das man mehr oder weniger gezwungen worden ist – damals in der DDR übrigens letztlich ebenso von Behördenseite wie heute in der BRD. 

Damals wie heute scheint es auch kaum einen Funktionär oder Politiker, Lobbyisten oder Agitatoren zu interessieren, welch volkswirtschaftlicher Schaden entsteht, wenn man Menschen in Berufen oder wenigstens in Fertigkeiten ausbildet, die sie später nicht oder nicht lange ausüben wollen. Hauptsache versorgt.

Es wäre interessant zu erfahren, was aus den jungen Wäscherinnen – von denen ja viele trotz allem sehr selbstbewußt wirken, entschlossen, sich zu behaupten, und von jugendlichem Optimismus durchdrungen, schon noch etwas Besseres zu finden – geworden ist. Wie viele von ihnen wie lange in diesem Betrieb, in diesem Beruf blieben. Das Ende der DDR dürfte vielen von ihnen ohnehin eine Neuorientierung auf­gezwungen, vielleicht auch ermöglicht haben. Wenn man sieht, wie diese hübschen, jungen Frauen die schwere Wäsche bewegen müssen, in der dampfgeschwängerten Atmosphäre schuften, mit dem ganzen Wasser (ist es eigentlich üblich, in einer Großwäscherei mit nackten Händen zu arbeiten?) – man möchte es ihnen eigentlich auch dringend wünschen, daß sie das nicht vierzig Jahre lang machen mußten.

Jetzt sind die jungen Frauen, denen man in „Wäscherinnen“ am Anfang ihres Berufslebens begegnet, um die sechzig. Sie nähern sich also vermutlich dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit. Man hofft, daß sie dieses Ende so bedauern wie die Köhlers.

J.G.

Mehr zu diesen Filmen hier und hier.

 

 

 

 

Quellen der filmographischen Angaben: Originalvorspänne bzw. Originalabspann, http://www.buchstabenschubser.de/arbeiten/209 (besucht am 12.3.2013).
 

Bilder aus dem Film (Hannah Metten/Jan Gabbert).

 

 

Rarität des Monats März 2013

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 7.-8. und 10.-13. März 2013 lief um 18 Uhr

 

Eine Handvoll Noten

DDR 1961 – 35 mm – Farbe (Agfacolor Wolfen) – 80 Minuten
Regie: Otto Schneidereit, Dr. Helmut Spieß. Drehbuch: Otto Schneidereit. Kamera: Otto Hanisch. Bauten: Oskar Pietsch. Musik: Martin Hattwig. Kostüme: Dorit Gründel. Masken: Margarete Walther, Alfred Fleischert. Ton: Kurt Eppers. Musiktonmeister: Günter Lambert. Schnitt: Anneliese Hinze-Sokolow. Regieassistenz: Eleonore Dressel. Kameraassistenz: Rudolf Dollan. Aufnahmeleitung: Paul Schimanski, Otto Schröder.
Darsteller: Günther Simon, Ingeborg Dirgardt, Stefan Lisewski, Angela Brunner, Albert Garbe, Erika Dunkelmann, Rudolf Ulrich, Werner Lierck. Außerdem wirken mit: das Tanzorchester des Berliner Rundfunks unter der Leitung von Günter Gollasch, das Tanzorchester Fips Fleischer, die Martin-Möhle-Combo, das DEFA-Sinfonieorchester unter der Leitung von Karl-Ernst Sasse, Heinz Quermann, Fred Frohberg, das Vineta-Trio, die Colibris, die 4 Teddies, die 4 Pico-Bellos und andere.
Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme. Produktionsleitung: Werner Dau.
Erstaufführung: 25. Dezember 1961, Berlin (Filmtheater am Friedrichshain).
Erstverleih: Progress.

Projektion eines digitalen Datenträgers. 

Ein junger Bäcker möchte Musik machen. Weil sein Vater davon nichts hält, entflieht er dessen provinzieller Backstube und heuert in einer genossenschaftlichen Großbäckerei in Berlin an, wo er natürlich auch die Liebe findet. – Ein fast völlig vergessener Musikfilm der DEFA, der dezent Propaganda betreibt: Brot aus der Fabrik schmeckt genauso gut wie vom Bäcker. Im sozialistischen Betrieb können sich die Mitarbeiter auch künstlerisch entfalten. Nicht nur bei der Arbeit wird gesungen. Und ausgiebig berlinert. Von der Stadt ist allerdings so gut wie nichts zu sehen.

Unser Flyer zum Film.

  

Auch Fabrikbrot macht Wangen rot

In den sechziger Jahren steckte der bundesdeutsche Film in einer tiefen künstlerischen wie kommerziellen Krise. Daher entstanden dort damals kaum mehr bedeutende Musikfilme, die ja in der Regel nicht nur einiges an handwerklichem Geschick erfordern, sondern auch an finanziellem Aufwand. Ganz anders bei der DEFA – als DDR-Staatsbetrieb mit einem großen, eingeübten Produktionsapparat schuf sie in den Sixties einige der besten, bemerkenswertesten deutschen Filmmusicals: „Revue um Mitternacht“, „Geliebte weiße Maus“, „Hochzeitsnacht im Regen“ oder „Heißer Sommer“.

Fast völlig vergessen ist jedoch ein Musikfilm, der 1961 entstand, in vielerlei Hinsicht auf halbem Weg zwischen der eher biederen DEFA-Produktion „Meine Frau macht Musik“ (1958, Regie: Hans Heinrich) und dem opulenten, einfallsreichen und selbstironischen Musical „Revue um Mitternacht“ (1962, Regie: Gottfried Kolditz): „Eine Handvoll Noten“ dürfte in den vergangenen Jahrzehnten kaum einmal zu sehen gewesen sein. Die letzte Fernsehausstrahlung liegt lange zurück, der Film ist weder auf VHS noch auf DVD verfügbar.

Dabei ist er schon aus historischen Gründen in vielerlei Hinsicht interessant: „Mein Sohn macht Musik“, beginnt die Besprechung in der „Berliner Zeitung“ vom 23. Dezember 1961, und der so hergestellte Zusammenhang zu dem etwas älteren Werk von Hans Heinrich besteht nicht nur in der Zugehörigkeit zum gleichen Genre. In „Meine Frau macht Musik“ wie in „Eine Handvoll Noten“ spielte eine Hauptrolle Günther Simon, Darsteller des Titelhelden in „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ und „Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse“ und dank dieser filmischen Heiligenbildchen Kurt Maetzigs zuweilen fast gleichgesetzt mit dem von der SED zum großen Märtyrer verklärten KPD-Vorsitzenden. Jedenfalls versuchte Simon seinem Image als Arbeiterheld in den Folgejahren immer wieder zu entfliehen: So in „Meine Frau macht Musik“ als spießiger Ehemann, der mit der Berufstätigkeit seiner Angetrauten hadert, in „Eine Handvoll Noten“ als unbeholfener, leicht verklemmter Bäcker, der erst der Hilfe seines besten Freundes und Kollegen bedarf, um zu seinem Liebesglück zu gelangen.

Heute kaum mehr verständlich ist auch die Werbung, welche in diesem Musikfilm für in der Fabrik erzeugte Backwaren betrieben wird: Der kleinstädtische, alte, dem Fortschritt gegenüber zunächst skeptische Bäcker muß sich in der konsumgenossenschaftlichen Großbäckerei nicht nur von deren moderner Ausstattung beeindruckt zeigen, sondern auch eingestehen, daß das dort produzierte Brot genauso gut schmeckt wie das handwerklich hergestellte aus seiner kleinen, provinziellen Backstube. „Die drüben haben Jahrzehnte gebraucht, um zu begreifen, daß Schrippen vom Bäcker besser schmecken als aus der Fabrik“, war in den siebziger und achtziger Jahren eine im Westen gern verbreitete Weisheit. Fabrikbrot und -brötchen galten als Beispiel für minderwertige Massenproduktion, mit denen die Brüder und Schwestern im Osten abgespeist, wenn nicht gequält wurden. Und tatsächlich erfuhren die Produkte der relativ wenigen verbliebenen privaten Bäcker in der DDR eine besondere Wertschätzung. Mittlerweile wurde die gesamte Problematik vom Kapitalismus bekanntlich auf dessen ureigene Weise gelöst: über den Preis und durch einen Verdrängungswettbewerb, in dem die Kleinen kaum gegen die Großen bestehen können.

Dezente Werbung für den DDR-Sozialismus wird in „Eine Handvoll Noten“ auch hinsichtlich der Darstellung des Treibens in der genossenschaftlichen Großbäckerei gemacht: Dort wird nicht nur während der Arbeit gern gesungen; wie es sich für einen sozialistischen Betrieb gehört, fördert dieser auch die künstlerische Selbstverwirklichung seiner Werktätigen (der Bitterfelder Weg läßt grüßen). So kann der seinem Vater und dessen Unverständnis für musikalische Ambitionen entflohene junge Bäckergeselle (Stefan Lisewski, damals einer der wichtigsten jungen Stars der DEFA) rasch zum Solotrompeter des werkseigenen Tanzorchesters aufsteigen und das nahende Betriebsfest wie gewünscht auch mit Mambo-Klängen bereichern. Und am Ende wird er, der nebenher natürlich ein exzellenter Bäcker ist, gar von seinem Betrieb zum lang erträumten Musikstudium delegiert.

Nicht mehr nötig hat dies die Verkäuferin aus der Friedrichshagener Backwaren-Verkaufsstelle des Konsum: Sie trällert auf der Feier, als stünde sie auf einer Operettenbühne – Donnerwetter, denkt sich da der kapitalistische Beobachter, schon toll, was so eine vollentwickelte sozialistische Persönlichkeit alles kann! (Die Darstellerin Ingeborg Dirgardt – eine Neuentdeckung, die bei der DEFA kaum weitere Beschäftigung fand – kam tatsächlich von der Operette.)

Apropos Friedrichshagen: Obwohl ausdrücklich in Berlin angesiedelt, sieht man von der Stadt in „Eine Handvoll Noten“ so gut wie nichts. Auch spielen Berliner Besonderheiten keinerlei Rolle – der im Jahr des Mauerbaus entstandene Film ist damit auch eine der ersten DEFA-Produktionen, in denen die Teilung der Stadt einfach ignoriert wird. Nur für den Gegensatz zwischen Großstadt und Kleinstadt ist Berlin hier von Belang, wobei der Schauplatz vor allem durch den Dialekt vermittelt wird. Allerdings spricht man den gleichen auch in dem ungenannt bleibenden Provinznest, weshalb Agnes Kraus – Jahre vor ihrem späten Aufstieg zu einem der größten Fernsehstars der DDR – in ihrer kleinen, in dem Kaff angesiedelten Nebenrolle in gewohnter Weise sprechen kann.

Seinerzeit bereits prominent waren hingegen der Entertainer Heinz Quermann, der hier einen Musikalienhändler gibt, und der Sänger Fred Frohberg. Daneben wurden für den Film einige der damals bekanntesten Tanzorchester und Ensembles der DDR verpflichtet.

„Eine Handvoll Noten“ war eine Art Weihnachtsgeschenk der DEFA: Am Nachmittag des 25. Dezember 1961 erlebte der Streifen im Berliner Filmtheater am Friedrichshain seine Uraufführung. So die Zeitungen ihn überhaupt beachteten, wurde er verrissen: „Geriet der Inhalt der leichten DEFA-Filme von mal zu mal dürftiger, ist nun der Punkt erreicht, wo man bald vom ‚Film ohne Inhalt’ sprechen muß“, heißt es in der Kritik der „Jungen Welt“ vom 23./24. Dezember 1961, die schloß: „Warum sich soviel Dilettantismus auch noch in Farbe und Totalvision ausbreiten muß, bleibt Produktionsgeheimnis der DEFA.“ In der „Berliner Zeitung“ vom 23. Dezember 1961 las man: „Das Knusprigste daran sind die Brote und Brötchen. Ansonsten ist das Ganze sehr zäh zusammengerührt. Über Konflikte, die ja wohl auch ein Lustspiel haben muß, wird in Windeseile hinweggehuscht. Dafür gibt es Gags aus der Zeit, als alle Brote noch mit der Hand in den Ofen geschoben wurden, und Szenen über Szenen, deren Funktion sicher auch keinem der Beteiligten recht klar war.“

Sicher ist der Streifen kein Meilenstein der Filmkunst – aber so schlecht nun auch wieder nicht. Insbesondere die Bildgestaltung ist einfallsreicher als die lustlos und unbeholfen zusammengeschusterten „Revuefilme“ mit ihren uninspiriert in Totalen abgefilmten Musiknummern, die seinerzeit in der Bundesrepublik entstanden. Oder die dort produzierten Schlagerfilme. In „Eine Handvoll Noten“ gibt es immerhin eine Traumsequenz.

Man fragt sich, ob die von den staatlich gelenkten DDR-Medien beschäftigten Kritiker sich hier einmal abreagieren wollten – was bei einer solchen Unterhaltungsproduktion natürlich gefahrloser möglich war als bei Propaganda- und Prestigewerken der DEFA.

Nichtsdestoweniger: Von Otto Schneidereit, der insbesondere als Librettist und Autor von Büchern über Musikthemen von sich reden machte, wurden offenbar keine weiteren Spielfilmdrehbücher realisiert. Als Regisseur war er wohl nicht von vornherein vorgesehen: Daß er „nach langwierigem Herumdoktern an diesem Streifen auch die Regie übernahm“, liest man in der erwähnten Kritik der „Berliner Zeitung“. Helmut Spieß, den Schneidereit aus dem Regiestuhl verdrängte, starb im März 1962.

Tatsächlich mag man kaum glauben, daß kurz nach diesem Film ein Meisterwerk wie „Revue um Mitternacht“ entstand, von dem „Eine Handvoll Noten“ Welten zu trennen scheinen. Und nur fünf Jahre später ein so durchgedrehtes Musical wie „Hochzeitsnacht im Regen“.

Andererseits: Gerade das etwas Biedere und Brave, das umfassende Fünfziger-Jahre-Ambiente, die goldstichigen Agfacolorfarben verleihen „Eine Handvoll Noten“ aus heutiger Sicht einen besonderen nostalgischen Glanz. Und eine Rarität ist der Streifen allemal, ein weitgehend vergessenes Puzzlestück in der Musikfilmgeschichte der DEFA, welches man womöglich so bald nicht wieder zu sehen bekommt.

J.G.

Mehr zu diesem Film hier.

 

 

 

 

Quellen der filmographischen Angaben: Originalvorspann, „Berliner Zeitung“ vom 24. Dezember 1961.

Bilder aus dem Film (Progress-Filmverleih).